Hermine Koschmieder
geb. 13.11.25
aus Danzig, Am Spendlhaus 5

„Will ich von Jehovas Liebe singen und ihm für alles den Dank darbringen, dann reicht nicht die kurze Pilgerzeit, dann brauch ich die ganze Ewigkeit.“ Dies war der Anfang eines Gedichtes, das meine liebe Mutti am Tage meiner Geburt reimte. Von frühester Jugend war ich mit Jehovas Vorhaben vertraut und wie muß ich dafür dankbar sein. Meine Eltern gingen im Dienste für Jehova auf und wir führten ein selten glückliches Familienleben. Als ich 7 Jahre alt war, wurde auch in Danzig der Hitlergruß üblich und es begannen die Verfolgungen. Bald wurde uns der Versammlungssaal genommen, die Bücher beschlagnahmt u. die Arbeit versucht zu unterbinden. Ich habe das in dem Alter noch nicht so recht verstehen können. Meine Mutter erklärte meiner Schwester u. mir, was wir tun dürfen u. was nicht, trotz ausgeübten Druckes um Jehova Gott treu u. gehorsam zu sein. Es war für die Eltern in Deutschland schwer, ihre Lieblinge ohne so große Erkenntnis unter der Wut und dem Gespött der Lehrer u. Schüler leiden zu sehen. Der Besuch einer hohen Schule war ganz ausgeschlossen. - Mit 14 Jahren mußte ich aus dem Elternhaus u. das von Hitler eingeführte Pflichtjahr durchmachen u. damit eine harte Schule des Lebens. Meine Eltern erhielten danach ein anderes Kind, denn vorher nur gesund, war ich durch vollständige Überarbeitung im höchsten Grade der Körperschwäche u. wurde auf Staatskosten in ein Sanatorium geschickt. Hier waren viele solcher Mädels, die mit 14 Jahren ihre Gesundheit bei Nazifamilien mit 5-6 Kindern oder in deren Geschäften gelassen haben. Aber auch geistig war ich eine andere, u. das zur großen Freude meiner Eltern, denn ich hatte die Satansorganisation mit allen ihren Einrichtungen hassen gelernt u. jede Menschenfurcht war überwunden. Ich ging zur „Allianz“ Versicherungs A.G. u. gegenüber Direktoren u. Handelsschullehrern überfiel mich kein inneres Zittern mehr, sondern der Herr segnete mich mit seltener Freimütigkeit, denn täglich gab es Anfechtungen. Der Gruß, die Parteien, Beiträge, die Versammlungen, Spenden u.s.w. Mit 16 Jahren vollzog ich mit genügender Erkenntnis meine Weihung u. bald darauf hiess es auch beweisen, ja beweisen bis zur Frage auf Leben u. Tod mit bereitgehaltenen Revolver. Und als die Stunde meiner Verhaftung gekommen war, dankte ich Jehova zuerst, daß er mich würdig erachtet zu seines Namens Ehre Trübsal u. Gefängnis auf mich nehmen zu dürfen, um dem Satan zu beweisen, daß Jehova Menschen auf der Erde hat, die ihm unter den widrigsten Umständen die Treue halten. - Den Sommer 43 saß ich auf einem alten mittelalterlichen Turm der Gestapo zu Vernehmungen zur Verfügung. Mein Vater und meine Mutter in anderen Zellen. In vielen langen nicht einfachen Vernehmungen, die sich in die Nächte erstreckten, war es besonders ein geschulter Berliner Jesuit, der vor Wut raste, daß er keine anderen Protokolle, u. dann noch von einer 17-Jährigen, „erarbeiten“ konnte. Mein Gebet in den Kreuzverhören war: „Herr, verwirre, ängstige, quäle sie.“
In größter Ruhe dachte man wie Esther: „Komm‘ ich um, dann komm‘ ich um.“ Nur keinen meiner Brüder preisgeben. - Dann folgte ein ½ Jahr Untersuchungsgefängnis, in dem ich mit meiner Mutter zusammen war. Danach stieg unsere Gerichtsverhandlung vor dem Sondergericht. Sie dauerte 1 ½ Tage u. war vor großem Zuhörerraum ein gutes Zeugnis. Meine Mutter wurde zu 3 Jahren Zuchthaus u. 3 Jahren Ehrverlust wegen „aktiver Betätigung in der I.B.V.“ verurteilt. Richter u. Staatsanwalt ließen zu unserem großen Verwundern alle Jugend-§ u. guten Zeugnisse für mich in Kraft treten, trotzdem die Gestapo eine 4-5 jähr. Zuchthausstrafe vorgeschlagen hatte. Das Gericht legte das „Verfahren nieder“ u. übergab mich den Händen der Gestapo. Nach Verweigerung der bekannten Unterschrift kam ich wieder auf jenen Turm. Ich sah wieder auf die
Wände mit ihren herzzerreißenden Inschriften u. dachte, wie anders doch der Gemütszustand der Zeugen Jehovas ist, nämlich auch hier ein freudiger. Ich freute mich nun auf Stutthof. Doch nein, der Satan heckte etwas Neues aus: Eines Tages öffnete sich die Tür, man sagt mir ich sei frei. Männer der Gestapo meinten, ich soll sehen, daß sie es „gut mit mir meinten“. 2 Monate haben sie in der Freiheit nichts unversucht gelassen, doch meine Antworten auf ihre Höflichkeiten waren harte Wahrheiten bezügl. meiner Glaubensbrüder. Es wurde ihnen bald ungemütlich u. man gab den Kampf auf, ohne das Ziel erreicht zu haben. Dies war die nervenaufreibendste Zeit. Glücklich der 12. April 44, wo ich wieder in eine kl. Zelle des alten Turmes geschlossen wurde u. wußte: nun geht’s nach „Stutthof“ zu anderen Geschwistern. - Das Lager ist wie eine kleine Stadt voller Geschäftigkeit u. Menschen wimmeln wie die Ameisen vom Arbeiter bis zum Minister. Allein durch das kl. Stutthof gingen über 100.000 Menschen. Ich möchte keine der hier gesammelten Erfahrungen missen u. bin dafür sehr dankbar.
Und nun hat Jehova uns in ein Land geführt, in dem noch „Milch u. Honig fließt.“ Auch in Bezug auf geistige Speise, denn es ist Jehovas Wunderhand gewesen, die es dem Satan nicht gestattete auch in diesem Lande das Werk anzutasten. Und Jehova hat uns in seiner Güte nun den Händen seines Volkes hier in Dänemark anvertraut. Die Sprachverschiedenheit wird überbrückt durch die Einheit des Geistes, in der Jehovas Volk auf der ganzen Erde wandelt, nämlich dem Geiste der Theokratie. Und er wird segnen alle liebenden Herzen u. Hände, die soviel Freude bereiten, doch aller Dank gebührt ihm allein u. unserem großen König.
Lohals, den 15. August 1945